PROVENIENZ-
FORSCHUNG AM
KUNSTMUSEUM
BONN

Bilderrahmen

1
Was bedeutet
Provenienz?

Provenienz heißt Herkunft! Die Herkunft eines Kunstwerks ist nicht immer klar und eindeutig. Die Provenienzforschung stellt sich folgenden Fragen:

was bedeutet Provenienz?

Woher
kommt
das
Werk?

Wer
war
der/die
Besitzer:in?

Wann wurde
das Werk
gekauft/
verkauft?

Was
wissen
wir über
das Werk?

WARUM?

Die Herkunftsgeschichte der Kunstwerke ist wichtig. In der Zeit des Nationalsozialismus (1933 – 1945) wurden viele Kunstwerke, die sich im Besitz jüdischer Sammler:innen befanden, geraubt oder unrechtmäßig entzogen.

Das Ziel ist es, die Herkunftsgeschichte der Werke lückenlos aufzudecken!

2
Welche
Werke wurden
untersucht?

Die Provenienzforscherin Vanessa Voigt hat für das Kunstmuseum weit über 100 Werke aus seiner Sammlung der Klassischen Moderne, das heißt Werke, die vor 1945 entstanden sind, auf diese Fragen hin untersucht.

Wir erläutern den Vorgang der Provenienzforschung exemplarisch anhand von zwei Werken: Kinder am Brunnen (1914) von August Macke und Der Herbstwald (1912) von Heinrich Nauen. Die Arbeit Kinder am Brunnen wurde vom Kunstmuseum Bonn 1969 von der Galerie Norbert Ketterer in der Schweiz erworben, die Arbeit Der Herbstwald kam bereits 1963 über die Galerie Aenne Abels ins Kunstmuseum Bonn. Hier beginnt die Spurensuche…

Werktitel zeigen
Kinder am Brunnen
August Macke
Kinder am Brunnen mit Stadt
im Hintergrund /
Kinder am Brunnen

1914, Öl auf Leinwand
62,5 x 75,3 cm
Werktitel zeigen
Herbstwald
Heinrich Nauen
Herbstwald
1912 (1911), Öl auf Leinwand
80 x 70 cm

3
Die Provenienz-
forscher:in
und ihre
Methoden

Die Provenienzforscherin Vanessa Voigt hat die Herkunftsgeschichte unserer Kunstwerke untersucht. Dabei wird die Geschichte, die ein Werk von seiner Entstehung im Atelier bis heute zurückgelegt hat, betrachtet. Es werden folgende Fragen gestellt:

Die Methode

Wie gelangte
ein Kunstwerk
in unseren
Besitz?

Wer
waren die
vorherigen
Besitzer:innen?

Wann wurde
das Werk
gekauft/
verkauft?

Von wem
wurde es
verkauft?

Wer
hat es
gekauft?

Wurde
das Werk
verschenkt
oder
vererbt?

Welche
Dokumente
sind vorhanden?
Welche
Herkunft
belegen sie?

Mit diesen Fragen rekonstruiert man die Geschichte der Besitzer:innenverhältnisse eines Kunstwerks und geht beim Spurenlesen wie ein/e Detektiv:in vor. Das heißt, man geht von einzelnen Indizien aus, kombiniert sie, um sie dann zu einer schlüssigen Geschichte (einer möglichst lückenlosen Herkunftsgeschichte) sinnvoll zu verbinden.

4
Der Anfang
der Spurensuche

Die Spurensuche beginnt im Jetzt mit der Sichtung der Einzelakten der Kunstwerke im Archiv des Kunstmuseums Bonn. Hier befinden sich Informationen zum Ausgangspunkt der Suche: dem Erwerb der Werke durch das Kunstmuseum Bonn.

Der Anfang der Spurensuche
August Macke Kinder am Brunnen
August Macke
Kinder am Brunnen mit Stadt
im Hintergrund /
Kinder am Brunnen
Way One
Way 4
Way One
Way 9
Way 8
Way 9
Heinrich Nauen Herbstwald
Heinrich Nauen
Herbstwald

Was verraten uns die Akten? Von wem wurde das Werk verkauft? Handelt es sich um eine Privatperson oder um eine Galerie oder ein Auktionshaus? Wie gelangte es in den Besitz dieser Person, in den Besitz der Galerie oder wer hat es beim Auktionshaus eingeliefert?

5
Indizien –
alles zählt

Neben der Recherche nach Dokumenten – in Archiven, in alten Ausstellungs- und Auktionskatalogen, in Briefen und vielleicht auch in historischen Zeitschriften – ist das Kunstwerk selbst Gegenstand der Untersuchung. Dabei spielen die Rückseiten oder auch die Rahmen eine wichtige Rolle, denn hier gibt es oftmals Hinweise darauf, wo und bei wem sich das Kunstwerk befunden hat.

Indizien – Alles zählt

Manchmal verliert sich eine Spur und das Werk taucht erst Jahre später wieder auf. In solch einem Fall sind folgende Fragen wichtig: Wo war es? Wer war der/die Besitzer:in? Wie gelangte es dorthin? Unklare und lückenhafte Erwerbsgeschichten erwecken immer den Verdacht, dass ein Werk unrechtmäßig seine/n Besitzer:in gewechselt hat.

6
Besitzer:innen

Die Besitzer:innen der Werke spielen in der Provenienzforschung eine zentrale Rolle. Dabei kann es sich um Sammler:innen, Galerist:innen, Künstler:innen oder ganz unbekannte Bürger:innen handeln.
Für die Provenienzforschung ist vor allem interessant, welche Rolle die Werkbesitz:innen in der Zeit des Nationalsozialismus gespielt haben. Waren es Profiteur:innen oder Helfer:innen der Nationalsozialisten oder im Gegenteil, waren es Leidtragende?

Einige Personen haben sich in der Kunstwelt bereits „einen Namen gemacht“ und ihre Biografien wurden bereits erforscht. Wenn dies nicht der Fall ist, ist es die Aufgabe der Provenienzforscher:innen, Informationen über die Besitzer:innen zu suchen und Biografien zu rekonstruieren – mit Hilfe von Archiven, Dokumenten, Briefen und weiteren Aufzeichnungen.

Schauen wir uns im folgenden die Besitzverhältnisse unserer beiden Werke einmal genauer an:

Die Personen
August Macke Kinder am Brunnen
August Macke
Kinder am Brunnen mit Stadt
im Hintergrund /
Kinder am Brunnen

Das Gemälde Kinder am Brunnen befand sich von 1934 bis 1949 im Besitz des aus Werdau/Sachsen stammenden Textilkaufmannes Ralf Bäßler. Über Ralf Bäßler und seinen Kunstbesitz gibt es bis heute keine zusammenhängenden Hinweise. Neben dem zu untersuchenden Macke-Gemälde Kinder am Brunnen, welches Bäßler 1934 aus der Macke-Ausstellung der Galerie von der Heyde, Berlin, erworben hat, wird er auch in der Kundenkartei der Galerie Thannhauser, München, als Kaufinteressent von Kunstwerken genannt. Er besaß weitere Gemälde von Ernst Wilhelm Nay und Lyonel Feininger.

Der Werdauer Textilkaufmann Ralf Bäßler
Der Werdauer Textilkaufmann
Ralf Bäßler
© FD Zentrale Dienste/Archiv, Werdau

Im Stadtarchiv Mönchengladbach ist ein Melderegistereintrag zu Ralf Bäßler vorhanden. Demnach wurde dieser am 22. Juni 1900 in Werdau bei Zwickau geboren, war evangelisch und Textilkaufmann. Laut Mitteilung des Stadtarchivs Werdau war Bäßler Inhaber der 1860 gegründeten Tuchfabrik C.G. Bäßler in Werdau mit Sitz am damaligen Ziegelteich. Hergestellt wurden vornehmlich Herrenanzugstoffe und Mantel- und Kostümstoffe für Damen. Bäßler war Mitglied des Werdauer Industrievereins, bis dieser 1933 aufgelöst wurde. Er bewohnte in Werdau eine Villa in der Holzstraße, früher Nummer 14/16, heute Nummer 58/60. 1958 zog Bäßler von Werdau nach Mönchengladbach. Eine durch die Nationalsozialisten bedingte Enteignung ist nach unseren Forschungsergebnissen auszuschließen.

Heinrich Nauen Herbstwald
Heinrich Nauen
Herbstwald

Die Erklärung der Besitzverhältnisse des zweiten Werks gestaltet sich aufwendiger. Bekannt ist, dass sich die Arbeit in unbekanntem Privatbesitz befand und 1939 aus dem Kunsthandel erworben wurde. Hier taucht ein erster Verdacht auf. Nach ausgiebiger Recherche kommt die Provenienzforscherin Vanessa Voigt zu der Annahme, dass die Arbeit aus dem Besitz von Heinrich (Heinz) Simon stammen könnte.

Heinrich Simon
Heinrich Simon
vor 1916
auf einer Fotografie von
Jacob Hilsdorf

Heinrich (Heinz) Simon studierte Philosophie, Nationalökonomie sowie Kunst- und Literaturgeschichte an den Universitäten Berlin, Freiburg im Breisgau und Erlangen und wurde 1905 zum Dr. phil. an der Universität Freiburg im Breisgau promoviert. Sein Großvater war Leopold Sonnemann, der 1856 die Frankfurter Zeitung mitbegründet hatte. Heinz Simon arbeitete nach seiner Promotion für das Feuilleton der Zeitung und wurde später Herausgeber und Geschäftsführer der Frankfurter Sozietätsdruckerei. Simon war ein bedeutender Förderer moderner Kunst, er pflegte Kontakte zu zahlreichen Intellektuellen und Künstler:innen der Weimarer Republik. Hierzu gehörten Georg Swarzenski, Direktor des Städelschen Kunstinstituts, die Dichterin Else Lasker-Schüler, die Bildhauerin Renée Sintenis und vor allem der Künstler Max Beckmann. Heinz Simon besaß Werke von Max Beckmann, Hans von Marées, Max Slevogt und Heinrich Nauen. Für die Anfang 1914 von der Düsseldorfer Galerie Alfred Flechtheim veranstaltete erste Einzelausstellung Heinrich Nauens stellte Heinz Simon – wie bereits erwähnt – aus seiner Sammlung ein Gemälde mit dem Titel Herbst als Leihgabe zur Verfügung. Um welches Gemälde es sich konkret handelte, ist nicht bekannt.

Da Simon, der jüdisch getauft war, bereits 1931 vom Heidelberger Beobachter (Kampfblatt der Nationalsozialisten) wegen der antinationalsozialistischen Haltung der Frankfurter Zeitung angegriffen und bedroht worden war, schied er 1934 aufgrund der antisemitischen Angriffe aus der Leitung der Frankfurter Zeitung aus.

Zusammen mit seiner Ehefrau Irma emigrierte er 1934 nach Paris und von hier aus 1938 über London nach Washington.

Das untersuchte Gemälde Herbstwald von Heinrich Nauen befand sich laut Mitteilung der Kölner Kunsthändlerin Aenne Abels im Jahr 1939 im Kunsthandel und wurde hier von den Besitzern des Gemäldes, in deren Auftrag Aenne Abels das Gemälde 1963 an das Städtische Kunstmuseum Bonn verkauft hat, erworben. Ob es sich um das Gemälde aus der Sammlung von Heinz Simon handelte, welches nach dessen Flucht aus Deutschland 1939 über den deutschen Kunsthandel verkauft wurde, konnte bislang nicht geklärt werden.

7
Die Ergebnisse

Die einzelnen Fakten und Daten sowie die Leerstellen ergeben ein mehr oder weniger klares Bild. Man zieht Schlüsse und findet unter Berücksichtigung aller Dokumente zu einer plausiblen Erklärung, um ein eindeutiges Ergebnis oder eine wahrscheinliche Hypothese zu erstellen.

Allerdings ist die Herkunftsgeschichte der Werke nicht immer klar darstellbar, oftmals bleiben Zweifel und Fragen offen. Aber auch wenn die Herkunft nicht lückenlos geklärt werden kann bzw. gerade dann hilft ein offizielles Bewertungssystem, mit dem wir die Untersuchungen zu den einzelnen Werken klassifizieren können – die Provenienzampel! Die Farben der Ampel machen die Einstufung der Herkunft schnell sichtbar.

Die Ergebnisse

Die Herkunft zwischen 1933 – 1945 ist rekonstruiert und unproblematisch, schließt NS-verfolgungsbedingten Hintergrund aus.

Die Herkunft ist nicht lückenlos nachverfolgbar, aber es liegen keine Verdachtsgründe vor, dennoch muss weiter geforscht werden.

Die Herkunft ist problematisch, es gibt Hinweise auf NS-verfolgungsbedingten Entzug. Es muss dringend weiter geforscht werden – Meldung bei LostArt-Datenbank

Die Herkunft ist eindeutig belastet. Die Erbanspruchsberechtigten werden gesucht. Meldung in der LostArt-Datenbank

Die Lost Art-Datenbank sammelt Informationen zum Verbleib von Kunstwerken, die ihren Besitzer:innen von der NS-Diktatur zwischen den Jahren 1933 – 1945 entzogen wurden.

8
Das Ende
der Geschichte

Von den insgesamt 126 Kunstwerken – 52 Gemälde, 1 Skulptur, 15 Aquarelle und 58 Zeichnungen – des Kunstmuseums Bonn hat Vanessa Voigt die Provenienz von insgesamt 37 Werken im Hinblick auf einen zwischen 1933 und 1945 erfolgten NS-verfolgungsbedingten Entzug oder Zwangsverkauf vollständig ausgeschlossen.

Die Provenienz von 86 Werken konnte nicht lückenlos geklärt werden. Dies liegt vor allem an der zumeist lückenhaften oder nicht vorhandenen Überlieferung von Dokumenten der Jahre vor 1945 zum Kunsthandel im Rheinland allgemein sowie zu einzelnen Kunsthändler:innen oder Sammler:innen.

Für insgesamt drei Kunstwerke – einer Skulptur von Wilhelm Lehmbruck, einem Aquarell von Paul Adolf Seehaus und dem Gemälde Herbstwald von Heinrich Nauen – besteht der begründete Verdacht auf einen zwischen 1933 und 1945 erfolgten unrechtmäßigen Entzug. Diese Werke sind bei der Datenbank Lost Art gemeldet.

Das Ende der Geschichte
Ergebnis zeigen
Kinder am Brunnen
Herkunft unproblematisch
Ergebnis zeigen
Herbstwald
Herkunft problematisch –
Meldung bei Lost Art!